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Der Tanz mit dem Tod

Liebe Festival-Gemeinde, wir haben etwas zu feiern: Die Wiederauferstehung des Lübecker Totentanz Bildes von 1463 als Animationsoper, d.h. zeitgemäss in einem digitalen Format inszeniert mit aktuellen Bildern und Themen. St. Marien hat mit diesem verlorengegangenen Gemälde Wim Trompert inspiriert: Seit seinem Besuch in 2019 hat im Geheimen über zwei Jahre an seiner genialen Idee gearbeitet und mit seiner Animationsoper ein wahrlich einzigartiges Werk zu der Musik von Thomas Adès geschaffen, dessen Weltpremiere uns zu diesem Festival veranlasst hat. Danke, Wim Trompert!

„Totentanz“ scheint zunächst als ein Widerspruch in sich und natürlich ist das Thema im ersten Moment auch etwas erschreckend.

Unser Festival-Blick ist klar auf das Leben gerichtet, d.h. auf unser Bewusstein, wie wir mit unserer irdischen Lebenszeit umgehen: Welche Haltung haben wir dazu, zu uns selbst und zu unseren Mitmenschen? Was bedeuten uns irdische Güter in der Balance zu irdischen Taten für unser Gemein- wohl oder auch Umwelt? Wie wichtig nehmen wir uns? „Respice finem“ – der Tod ist demnach ein wunderbarer Spiegel der Zukunft in unsere Gegenwart, tanzend regt er uns an zum Darüber-Sprechen, zum Nach- und Vorausdenken und vielleicht auch zum positiven Wachsen unseres Empfindens, unserer Einstellungen und Taten. Das würde uns sehr freuen! Leben & Tod hat die Menschen von Anbeginn beschäftigt und natürlich auch den Glauben. Daher ist es ein spirituelles Thema unserer Zeit. In seiner besondere Rolle und Verantwortung als „City-Church“ nimmt St. Marien sich diesem Thema wegweisend an.. Genießen Sie unser diesjähriges Startprogramm mit den vielfältigen, hochkarätigen und unterhaltsamen Angeboten. Wir danken allen großen und kleinen Spendern, allen direkten und indirekten Unterstütztern an dieser Stelle allerherzlichst! Ohne sie wäre die Gründung diesen besonderen, überregional wirkenden Festivals, das einen festen Platz im Lübecker Jahreskalender bekommen kann, nicht möglich gewesen. „Darf ich bitten ...?“

Prof. Dr. Henrik Meyer-Hoeven, Kirchengemeinderat


Für viele Erwachsene ist die Auseinandersetzung mit Tod und Sterben eines der wenigen verbliebenen gesell- schaftlichen Tabus. Wir reden sehr ungern darüber. In vielen Fällen wissen nicht einmal unsere engsten Angehörigen, was wir uns für unser Ende wünschen. Das Ziel ist möglichst ein Leben lang jung, dynamisch und aktiv zu sein. Jugendwahn wird das manchmal genannt. Und die Forschung der Gegenwart legt uns nahe, dass das immer erreichbarer wird. „Homo Deus“ - es wird vorstellbar, dass der menschliche Verfall und Krankheiten in wenigen Jahrzehnten medizinisch überwindbar sein werden. Gleichzeitig haben die Hospizbewegung und die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Themen wie der Patientenverfügung eine entgegengesetzte Bewegung in Gang gesetzt. Eine Bewegung, die sehr wichtig ist:

Wenn unsere Liebsten unsere Wünsche in Bezug auf das Ende kennen, dann ermöglichen wir ihnen, beim Abschied das beruhigende Gefühl alles in unserem Sinne regeln zu können.

Und dennoch bleibt etwas zu tun. Wie wäre es, wenn der Tod und das Sterben selbst einen Teil ihres Schreckens verlören? Weil wir Bilder von Ihnen haben, die uns keine Angst machen. Weil wir über das Leiden hinausschauen auf das, von dem wir glauben, dass es uns nach der Schwelle des Todes erwartet. Ganz so wie J.K. Rowling Albus Dumbledore sagen lässt: „Schließlich ist der Tod für den gut vorbereiteten Geist nur das nächste große Abenteuer.“ Hier können wir von den Kindern lernen. Und das finde ich sehr biblisch: Wir sollen das Himmel- reich empfangen wie Kinder.Kinder wissen noch nicht, dass Themen rund um Sterben und Tod gesellschaftliche Tabuthemen sind. Sie äußern das, was ihnen dazu durch den Kopf geht ohne Filter und Selbstzensur. Sie unterteilen ihre Trauer in Portionen, die sie verkraften können. Und so kann es passieren, dass sie noch in diesem Moment untröstlich über einen Verlust weinen und schon im nächsten Moment wieder fröhlich spielen. Dazu möchte ich ermutigen: Dass wir uns trauen, uns etwas bei den Kindern abzuschauen. Dass wir uns zugestehen, Angst zu haben. Dass wir uns zugestehen Bilder zu entwickeln für das, was nach dem Tod kommt. Und dass wir uns trauen, uns darüber auszutauschen mit unseren eigenen Vorstellungen und mit den Gedanken die Menschen aus Kunst undGeschichte über Jahrhunderte dazu gedacht haben.

Inga Meißner, Marienpastorin


Wo komme ich her? Wo werde ich hingehen? Wie kann ich leben? Die gotische Kathedrale St. Marien reflektiert seit dem 13. Jahrhundert in unübertroffener Weise Grundfragen des Menschseins. Fragen, die die Menschen jeder Generation umtreiben. Die mittelalterlichen, erhabenen Prozessionen in den liturgischen Feiern der Kathedrale, die Einzüge in weißen Gewändern mit kostbarem Schmuck, die stilisierten Rituale mit ihrem distanzierenden Habitus erhielten als künstlerische Beigabe die Demokratisierung des Lebensziels:

Der Totentanz bildet zugleich die Furcht vor dem Ende als auch die Perspektive der Gleichheit allen Ausgangs ab.

Mit dem Totentanz entfaltet die Kathedrale damit die satirische Vision eines tiefen Trostes, der in jedem Leben zur Gestaltwerdung drängt. Welch ein Entwurf! Man mag sich vorstellen, wie der zitternde Gläubige in die Beichtkapelle eintrat, den monumentalen Wandfries und damit den tiefen Ernst der Situation vor Augen – um sich dann der Vergebung der Sünden zu versichern. Das bedeutete nichts weniger denn den Fortgang des Lebens. Das fascinosum et tremendum, wie Rudolf Otto im vielleicht bedeutendsten religionswissenschaftlichen Entwurf des letzten Jahrhunderts „Das Heilige“ beschrieben hat, wird hier augenfällig. Der Glaube antwortet auf die letzten Fragen des Lebens zuerst mit respektvoller Wahrnehmung und Deutung von Lebenswirklichkeit - um einzugestehen, als Mensch immer nur erschauern und sich trösten lassen zu können. So wie es in St. Marien der Antwerpener Altar mit der Darstellung des Marientodes vor Augen führt: Ein getröstetes Sterben. Der Tod als Übergang in das andere Leben, von dem wir nichts wissen und hoffen außer Frieden.

Robert Pfeifer, Marienpastor